< zurück

Wie wir die Nacht erleben: "Empowerment durch Türsteherei"

Menschen aus Sachsen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten.

Empowerment durch Türsteherei

von Tommy (kein Pronomen)

 CN: Security, Diskriminierung: Sexismus, Transfeindlichkeit; sexualisierte und familiäre Gewalt

 

Ich habe vor fünf Jahren angefangen in einem Club an der Tür als Security zu arbeiten. Auf diese Idee wäre ich von allein nicht gekommen – warum hätte ich mir das zutrauen sollen? Ich bin sozusagen ins kalte Wasser gesprungen. Ich stelle mir immer noch die Frage wie viel die Türsteherei mit Sozialer Arbeit zu tun hat und wie man den Spagat hinbekommt zwischen Härte gegenüber Arschloch-Gästen und Wärme gegenüber Gästen die sich Support wünschen. Für mich persönlich fand ich durch die Arbeit meinen Weg zurück zum Techno und tanze mittlerweile selbst hin und wieder oben ohne.

Ich schreibe aus einer nicht-binären/trans*männlichen Perspektive. Ich bin weiß und able-bodied. Und möchte hier ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern und ein paar Eindrücke zum Nachtleben aus Türsteher*innensicht teilen.

 Eine Bekannte sagte vor ein paar Jahren: „Hey, braucht wer einen Job? Ich höre auf als Secu zu arbeiten.“ Ich fragte natürlich nach, ob man dafür nicht Kampfsport können müsse. - Das ist die meist häufigst gestellte Frage, die man bekommt, wenn man Türarbeit macht. Ich wage zu behaupten, dass vorallem FLINTA* so etwas gefragt werden. Tatsächlich ist Türarbeit vorallem Reden, Ansagen machen, Situationen klären, Situationen deeskalieren und die richtigen Entscheidungen treffen, um z.B. nette und oder von Diskriminierung und Gewalt betroffene Partygäste zu schützen.

Ich begann den Job damals und habe hauptsächlich in dem einen Club mit immer ähnlichen Leuten gearbeitet. Wenn man strukturell von Gewalt betroffen ist, beinhalten wechselnde Arbeitsorte mehr Gefahren. Wenn ich an einem Ort bin, kenne ich die Strukturen und weiß, welche Stelle und welche Leute ansprechbar sind und unterstützen können. Wenn ich die Abläufe und Clubstruktur kenne und die involvierten Personen, kann ich unabhängig arbeiten und habe Handlungssicherheit. Wenn ich immer wieder mit fremden Leuten zusammen arbeite, muss natürlich viel mehr ausgehandelt werden, was Energie erfordert. In dem von cis-endo Männern dominierten Arbeitsbereich hat man es als FLINTA* nicht leicht. Eine der miesesten Erfahrungen mit einem Kollegen war Folgende:

Zu meinem Coming-Out als nicht-binär hatte ein damaliger Kollege Einwände gegen meinen selbstgewählten Namen. Er fände den Namen nicht gut, da er einen schlechten Bezug zu Stammgästen die den Namen trügen, hätte. Anderthalb Jahre später arbeitete ich und er war besoffen auf der Party. Er drückte mir ein Gespräch auf über seine Kindheit mit einem gewaltvollen Vater und entschuldigte sich für die Einwände bezüglich meines Namens. Er dominierte das Gespräch mit seinen Themen und nutzte aus, dass es gerade nichts zu tun gab und ich „nur“ an der Tür „rumsaß“.

 

Nun möchte ich erzählen was die Secu-Arbeit für mich mit Empowerment zu tun hat und wie sich mein eigenes Sicherheitsempfinden und meine Selbstbehauptung dadurch verändert hat.

Eine Aufgabe als Secu ist, die Gäste zu begrüßen und zu sehen, ob sie sich mit den Spielregeln im Club identifizieren. Ich bin da in einer mächtigen Position. Ich gucke mir die Leute in der Schlange an, rede mit ihnen und ich werde entscheiden, ob wer den Club nicht betreten soll. Wenn ich da so stehe und ich mir die Menschen in der Schlange angucke, trifft sich hin und wieder mein Blick mit dem eines, von mir cis-endo-gelesenen Mannes. Was meistens passiert, ist, dass er den Blick senkt. Ich möchte die Personen nicht einschüchtern und nutze meine mir zugeschriebene Macht an der Tür auch nicht aus! Aber ich muss zugeben, dass es empowernd ist, wenn Verhältnisse für einige Momente ausgehebelt werden und, verkürzt ausgedrückt, ich die Person bin die guckt und cis-endo Männer diejenigen, die angeguckt werden.

Einmal stand mir an der Tür ein Gast gegenüber, bzw. starrte er mir in die Augen. Im nächsten Atemzug sagte er mir, dass ich wunderschöne Augen hätte. Ich war perplex, so etwas hatte ich an der Tür bis dahin nicht erlebt. Als trans*männliche Person sind solche Kommentare doppelt diskriminierend. Zum Einen erkennen sie meine Geschlechtsidentität nicht an, zum Anderen degradieren sie mein gesellschaftlich mir zugeschriebenes Geschlecht, zum Dritten werde ich in meiner Tätigkeit als Türsteher*in nicht ernst genommen. - Oder würde man ein solches Kompliment dem Sachbearbeiter im Bürger*innenamt machen, während er die Formulare für den neuen Ausweis ausfüllt?  Ich reagierte erstmal gar nicht darauf. Im Alltag, als „Privatperson“ habe ich verschiedene Strategien die tagesformabhängig sind. An der Tür habe ich die Mitverantwortung, dass Partygäste drinnen, verschont bleiben von Personen die sich Fremden unangemessen nähern. Ein Kollege checkte mit mir ein, und fragte nach meiner Zustimmung dem Gast den Zutritt zu verwehren. Dies war meiner Meinung nach die einzig denkbare Konsequenz und ich war froh um den Support. Es ist wie so oft in der Awareness: Situationen lassen sich besser einschätzen und beurteilen, wenn man sie mit Anderen bespricht. Es passiert häufig, dass man betroffen von Anmachen, Beleidigungen und anderer Gewalt ist und nicht direkt Involvierte die Situation spiegeln und einordnen, bzw. Betroffenen die richtigen Fragen zur Einordnung stellen.

Je nach eigenem und Crew-Verständnis, gehört Prävention und Hilfestellung hinsichtlich Gewalt durch Gäste zu den Hauptaufgaben von der Secu. Es ist eine sehr besondere Erfahrung in der mächtigen Position zu sein, Leute die komische Dinge an der Tür sagen oder tun, nicht auf die Partygäste loszulassen. In meinem „privaten“ Alltag, habe ich nicht sehr oft die Möglichkeit eine solche direkte Konsequenz für die gewaltausübende Person folgen zu lassen.

Es ist toll in einem Team zu arbeiten, in dem wir uns aufeinander beziehen, vorbereitet sind und in brenzligen Situationen zusammen helfen. Wenn ich auf der Straße körperlich angegriffen werde, bin ich allein und rechne nicht damit. In dem Job sind wir gemeinsam.

Einmal hatte ich gerade Schichtende, ging zur Bar für ein Feierabendbier und mir wurde direkt an den Arsch gegrapscht. Der Täter war kommunikativ nicht zugänglich und ich fand die Situation tatsächlich irgendwie krude. Einerseits bestätigt sich durch solche Vorkommnisse immer wieder, dass man als FLINTA* Türsteher*in - sofern man nicht 1,90 m groß und sehr muskulös ist - so gut wie unsichtbar ist. Und andererseits „freute“ ich mich, dass es mich erwischte, weil ich handelte. Wer weiß, ob eine andere betroffene Person die Kraft oder die Lust gehabt hätte, sich zu beschweren. Dass es mich traf und es sich scheiße anfühlte, ist aber auch Fakt. Ich beugte mich also zum Bar-Personal und bat darum, mir eine*n Kolleg*in reinzufunken. Wir begleiteten die gewaltausübende Person nach draußen und ich genoß endlich mein Bier.

 

Im Laufe der Zeit habe ich sogar begonnen hin und wieder allein in diesen Club zu gehen. Es gibt sehr wenige FLINTA* die allein z.B. in einen  Club gehen und die Gründe dafür sind zahlreich und groß! Mir ist wichtig zu wissen, ob und wo es Hilfe gibt, wenn was ist. Mittlerweile gehe ich lieber in andere Clubs. Aber ich weiß wie Secu-Arbeit funktioniert und für was sie und die Awareness ansprechbar sind und sein sollten und das fordere ich auch ein! Ich werde mich aber auch weiterhin für Türen einsetzen die divers, kommunikationsfähig und ansprechbar sind!

 

 

Steckbrief

 

Über mich: Türsteher*in

Mein*e Lieblingsartist*in: Jennifer Cardini

Ich geh niemals in den Club ohne: geschmierte Brote & Mütze

Eine gelungene Nacht ist für mich: wenn es netteN & nahen Kontakt zu den Gästen gab

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
"Wie wir die Nacht erleben" schreibt Geschichten, Eindrücke und Erfahrungen von Menschen mit diversen und intersektionalen Perspektiven aus dem Nachtleben. Das Nacht- bzw. Veranstaltungsleben kann sich dadurch auszeichnen, dass es ausgelassen, berauschend, verbindend, befreiend und vernetzend ist. Aber es kann auch ausschließend, diskriminierend und schmerzhaft sein. Mit diesen Erfahrungen gehen Menschen unterschiedlich um. Sie entwickeln (empowernde) Strategien oder müssen Konsequenzen für sich ziehen. Viele sind überzeugt, dass "so etwas" auf den eigenen Veranstaltungen nicht passiert. Doch diese vermeintlich individuellen Erfahrungen ziehen sich strukturell durch unsere Gesellschaft und sind auch im Veranstaltungskontext verankert.
Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten. Es sind vielschichtige Stimmen, die sichtbar und hörbar gemacht werden: Empowernd, wütend, über Gewalt und den einhergehenden Schmerz berichtend, sehnsüchtig, traurig, frei, laut und leise, hart und weich.
9 Autor*innen und/oder Künstler*innensind an dem Zine beteiligt. Wir haben sie gefragt, wie für sie eine gelungene Nacht aussieht, wann sie sich safe und stark fühlen. Aber auch, wie ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt oder Diskriminierung sind.
Sie sind Teil des sächsischen Nachtlebens - ob als Besuchende, Awareness, Security, Artists oder Organisator*innen. Am Tage und während der Nacht engagieren sich viele von ihnen gegen Diskriminierung. Manche von ihnen bleiben anonym, einige stellen sich unter ihren Beiträgen vor. Vielen Dank für eure Offenheit, euren Mut und eure Arbeit!
In Teilen werden in den Beiträgen kontroverse und komplexe Themen angesprochen. Dies geschieht sehr subjektiv und teilweise verkürzt, aber eben der erlebten Erfahrung entsprechend. Als Herausgeber*innen sehen wir es als unsere Aufgabe, diese Berichte unzensiert und ungefiltert  so stehen zu lassen, wie sie sind, und finden es wichtig, auch Kontroversen und Diskussionen Raum zu geben.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Autor:in

Tommy (kein Pronomen)

Lesezeit

5 min

Datum

November 25, 2022

Link

Link

Mehr Infos