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Wie wir die Nacht erleben: "Hörbuch der sexualisierten Gewalt"

Menschen aus Sachsen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten.

Hörbuch der sexualisierten Gewalt

Anonyme Auszüge, gesammelt durch die Band Blond

CN neu: Sexualisierte Gewalt/ Übergriffe, Sexualisierung, (sexuelle) Belästigung auf der Straße, Alkohol

 

 

1. Bei unserem Freundeskreis ist es ja schon so, dass wir immer mal recht weit vorn im Club tanzen. Und man hält sich dann dabei auch nicht zurück. Und da wurde mir mal richtig krass an den Arsch und in den Schritt gefasst. Also wirklich so richtig unangenehm. Ich hab auch sofort aufgehört und hinter mich geschaut. Richtig schockiert und dann stand eine Freundin neben mir und hat gesagt „Ey keine Sorge, der ist schwul“ und dann war ich so „Ah, ok“ Und dann war ich so „Hä warte mal, das spielt doch überhaupt keine Rolle, das war ja trotzdem ein Eingriff in meine Privatsphäre und vor allem eine Berührung meines Körpers, zu der ich nicht zugestimmt habe und was in meinen Augen viel zu intim ist für ne Person, die ich einfach noch nie in meinem Leben gesehen habe. Und dabei spielt ja die sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle.“ Ich hab das Gefühl, dass es komplett normal ist einen Frauenkörper einfach so anzufassen. Und dass es in vielen Momenten auch als Kompliment gesehen wird, weil der hat das nach dem Motto gemacht „Yes Girl“ und dass ich übelst geil tanze und der fand das halt cool und so. Aber trotzdem muss man mir da ja nicht an den Arsch fassen. Man kann das ja auch einfach so sagen, dass er es abfeiert. Und ich wäre cool gewesen damit. Aber es ist einfach normalisiert aus irgendeinem Grund Frauenkörper zu berühren. Auch ohne Zustimmung und das finde ich so krass schockierend.

 

2. Er wollte unbedingt, dass ich mit ihm trinke. Ich weigerte mich und spuckte irgendwann aus Trotz in den Gin Shot der vor mir stand. Sofort greift er ihn und trinkt. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Das ist so dermaßen grenzüberschreitend. Aber alles was ich sagen könnte würde furchtbare Diskussionen erschaffen und ich möchte diese sowieso absurde Situation nicht noch schlimmer machen. Ich stehe sofort auf und will gehen. Zum Abschied drückt er mich zu lang und ich sage nur: das reicht.

 

 

3. Ich habe an der Bar gearbeitet in einem Club.

Der Typ, der an dem Abend dort moderiert hat, kam am Ende der Party sturzbetrunken an die Theke getaumelt und fing an mich vollzulabern. Er meinte „Dass ich schon ne ganz Hübsche sei“. Ich ignorierte seine Anmache und spülte Gläser. Das provozierte ihn oder so, keine Ahnung. Er hörte nicht auf mit seinen Anzüglichkeiten. Als ich mich in ein Taschentuch ausschnäuzte kommentierte er das mit „Du kannst sicher voll gut blasen.“
Ich war geschockt und wusste nicht was ich sagen sollte, ich wollte einfach nur schnell nach Hause. Neben mir waren zu dem Zeitpunkt nur noch Typen in dem Club, die sich für sein peinliches Verhalten entschuldigten und verschämt lachten. Als ich dann gehen wollte, wollte mich der Typ zum Abschied umarmen, weil es doch alles nicht so gemeint gewesen sei. Ich ging.

 

4. Ich wollte mit meiner Schwester feiern gehen. Am Einlass habe ich gemerkt, dass ich meine Impfbescheinigung zuhause liegen lassen hab, was an sich kein Problem war, weil ich sehr nah an diesem Club wohne. Dann haben wir uns gedacht, dass ich schnell mit dem E-Scooter nach Hause fahre, weil es eh nur 5 Minuten sind, hole meine Impfbescheinigung und komm wieder. Dann bin ich mit dem E-Scooter losgefahren. Ich war alleine und es war um eins oder so. Und bin mitten auf der Straße gefahren, da war kein Auto oder irgendwas.

Ich stand einfach nur da und bin auf dem E-Scooter nach Hause gefahren. Da bin ich an zwei Typen vorbeigefahren, da hat der eine gerufen „Geile Muschi“ und da hab ich übelst Angst bekommen und hab dann angefangen zu heulen, weil ich halt allein war. Dann bin ich nach Hause gefahren und dachte mir zuhause so „Nein, reiß dich zusammen. Es wird noch eine geile Partynacht und du schaffst das auf jeden Fall.“ Dann habe ich mich kurz runtergefahren, gechillt, hab mein Impfdings geholt und bin los. Dann bin ich wieder auf den E-Scooter und wieder zurück zu dem Club gefahren. Und bevor man dort auf das Gelände kommt ist wie so ein schmaler dunkler Gang und da bin ich allein reingelaufen und da waren die zwei Typen an denen ich schon am Anfang vorbeigefahren bin und sind mir entgegen gekommen. Und dann hat der eine seine Arme ausgebreitet und hat voll laut geschrien. Da bin ich zusammengezuckt, weil es ein voll enger Gang war und zwei Typen.

Dann hat der mit seinem Feuerzeug immer so getan, als würde der an mich ranzündeln. Also hat das an mich rangehalten und so geschrien. Der andere Typ hat gar nichts gemacht. Und hinten ist auch noch ein Mann gelaufen, der das mitbekommen hat, aber nichts gesagt hat. Ich hatte voll Angst, weil das ne bedrohliche Situation war und dann hab ich zu dem voll laut „Alter verpiss dich und lass mich in Ruhe“ und dann hat der Typ mich gehen lassen und hat gesagt „Verpiss dich selber du scheiß Fotze“.

Ja, das war mein Partyabend.

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"Wie wir die Nacht erleben" schreibt Geschichten, Eindrücke und Erfahrungen von Menschen mit diversen und intersektionalen Perspektiven aus dem Nachtleben. Das Nacht- bzw. Veranstaltungsleben kann sich dadurch auszeichnen, dass es ausgelassen, berauschend, verbindend, befreiend und vernetzend ist. Aber es kann auch ausschließend, diskriminierend und schmerzhaft sein. Mit diesen Erfahrungen gehen Menschen unterschiedlich um. Sie entwickeln (empowernde) Strategien oder müssen Konsequenzen für sich ziehen. Viele sind überzeugt, dass "so etwas" auf den eigenen Veranstaltungen nicht passiert. Doch diese vermeintlich individuellen Erfahrungen ziehen sich strukturell durch unsere Gesellschaft und sind auch im Veranstaltungskontext verankert.
Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten. Es sind vielschichtige Stimmen, die sichtbar und hörbar gemacht werden: Empowernd, wütend, über Gewalt und den einhergehenden Schmerz berichtend, sehnsüchtig, traurig, frei, laut und leise, hart und weich.
9 Autor*innen und/oder Künstler*innensind an dem Zine beteiligt. Wir haben sie gefragt, wie für sie eine gelungene Nacht aussieht, wann sie sich safe und stark fühlen. Aber auch, wie ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt oder Diskriminierung sind.
Sie sind Teil des sächsischen Nachtlebens - ob als Besuchende, Awareness, Security, Artists oder Organisator*innen. Am Tage und während der Nacht engagieren sich viele von ihnen gegen Diskriminierung. Manche von ihnen bleiben anonym, einige stellen sich unter ihren Beiträgen vor. Vielen Dank für eure Offenheit, euren Mut und eure Arbeit!
In Teilen werden in den Beiträgen kontroverse und komplexe Themen angesprochen. Dies geschieht sehr subjektiv und teilweise verkürzt, aber eben der erlebten Erfahrung entsprechend. Als Herausgeber*innen sehen wir es als unsere Aufgabe, diese Berichte unzensiert und ungefiltert  so stehen zu lassen, wie sie sind, und finden es wichtig, auch Kontroversen und Diskussionen Raum zu geben.
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Autor:in

Blond

Lesezeit

4 min

Datum

December 30, 2022

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