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Wie wir die Nacht erleben: "TO BE"

Menschen aus Sachsen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten.

TO BE.

by Manwinder Dhanjal (kein Pronomen)

CN: Queer Imposter Syndrom, Diskriminierung: Transfeindlichkeit, Rassismus, Sanismus; Familie, Toilette, Haare

 

Manchmal blicke ich in den Spiegel und frage mich: „Reicht das? Am I Queer enough? Am I feminine enough? Hätte ich mich doch nochmal im Gesicht rasieren sollen?“ Ich bekomme Angst. Angst davor, wie ich auf der „queeren“ Party gelesen werde. Angst davor, dass mich die Blicke der weißen AFABs 1 zerreißen. Angst davor, beim Gang auf die - notdürftig provisorisch überklebte - „Damentoilette“ verächtlich angeschaut zu werden. Angst davor, zu sprechen, weil meine Stimme nicht hoch genug ist, weil ich zu viel Raum einnehme. Angst davor, als „der braune übergriffige Täter“ bezeichnet zu werden.

Dieser Blick weißer Queers, der so „welcoming“ ist und im gleichen Atemzug meinen Körper, meinen Geist und meine gesamte Existenz kolonialisiert. Sie glauben, sie wüssten, was Queer sein bedeutet. Es waren ja schließlich die weißen, die die Welt befreiten und sich bis heute auf ihren CSDs feiern. Sie schauen siegreich auf meinen braunen Körper, als ob sie eine Trophäe aus ihren Feldzügen nach Hause gebracht hätten. „Dank uns bist du frei!“ Und dennoch bestimmen sie das Wesen meiner Identität: You are not queer enough! Ich halte es nicht aus. Die Blicke, sie brennen Löcher in meine Haut. Zwei Möglichkeiten: Sich mit Drogen betäuben oder nach Hause gehen? Ich blicke zu meinen weißen Freund*innen. Sie sehen es nicht und scheinen sich zu amüsieren. Ich kann nicht mehr, ich bin müde, also gehe ich heim.

Auf dem Weg nach Hause begegnen mir cis-männliche Bi_PoCs. Sie würdigen mich nicht eines Blickes. In ihren Augen habe ich kein Recht zu existieren. Aber wo soll ich hin? Wo darf ich sein? Ich verstecke mein geschminktes Gesicht im Dunkel der Nacht, meine lackierten Nägel in meine Jackentaschen, Kopfhörer in den Ohren, damit ich in eine andere Welt, in meine Welt entfliehen kann.

STOP. Nein. Einfach NEIN. Ich bleibe stehen. Warum tue ich das? I have a right to exist, to play with gender, to feel pretty, just: TO BE. Ich tanze nicht mehr nach der Pfeife von weißen Queers. I don’t owe you nothing. Wir waren die OG 2 Queers! Ihr habt uns eingeteilt in „Mann und Frau“. Und nun 200 Jahre später seid ihr auf der kulturellen Entwicklungsstufe von jahrtausendealten Völkern. So shut your frickin‘mouths! You too white AFABs!

Und an meine cis-Bi_PoC Familie: Ich fühle keine Scham mehr in eurer Gegenwart. Ich fühle Mitleid für euch und bete, dass auch ihr eines Tages mind and body dekolonialisieren könnt und euch befreit vom white gaze. Noch bin ich nicht frei, but I am on my way to freedom. Also Hände raus aus den Taschen, Gesicht ins Laternenlicht. Ich packe die krassesten Dance-Moves aus, dieser asphaltierte Fußgänger*innenweg ist meine Bühne und ich nutze jede Sekunde. Da sind sie wieder, die Blicke, ich werde voll Argwohn beobachtet. Sie glauben ich sei verrückt. Nicht bei Sinnen. Yeees, look at me. I am crazy. Crazy in love with myself! This is my non-binary, queer Rage. Und nennt mich bei meinen Namen, denn ich habe viele Namen: Hijra, Kinnar, Aravani, Shiv-Shakthi, Jogappa!

Tränen fließen über meine Wangen, ich trage das breiteste Lächeln auf meinem Gesicht. Die Mondgöttin strahlt mit aller Kraft auf mich hinab und zum ersten Mal seit Langem, höre ich mich Denken:
I am happy: TO BE.

 

1 Afab = assigned female at birth = Personen, denen zur Geburt, das weibliche Geschlecht aufgrund

vermeintlicher Phänotype oder Chromosomenkonstellationen zugeordnet wurde

2 OG = engl. Slang „Original Gangster“, entspricht im deutschen „Original“

 

Steckbrief:

 

Über mich:  

Manwinder/Monty (keine/they) 2. Generation der zentral-südasiatischen Diaspora, in Deutschland geboren und sozialisiert, non-binär queer, abled bodied, betroffen von Klassismus, privilegiert in Bezug auf Bildung (Medizin, Ethnologie und Kulturwissenschaften) und hat keine Kinder. Manwinder’s Arbeitsfokus liegt im Bereich Antirassismus, Queerfeminismus, (Post-)Kolonialismus und Intersektionalität und ist als freiberufliche Trainer*in und Aktivist*in in verschiedenen lokalen, bundesweiten und internationalen Organisationen tätig. Monty ist Teil des Podcast Kollektivs „Kaleidoskop - Zwischen mir und wir“ (@kaleidoskop_podcast) und organisierte das politische Körper- und Bewegungsfestival „Cuerpas Politiques“ für 2022. Ebenso widmet sich Manwinder künstler*ischen Arbeiten, wie das Schreiben, (Tanz-)Theater, political Drag-Performances und Kathak, so zu sehen in der 5. Ausgabe von APAL@AmnAsia  2022.

Ich geh niemals feiern ohne:

meine friends, einer Handtasche und einem Fächer


Eine gelungende Nacht ist für mich:

wenn ich nach einer langen Nacht morgens um 7 mit den Heels in den Händen nach Hause laufe während andere zur Arbeit fahren. Make that walk of shame to your walk of fame, they’re just jealous!


 Instagram: @montyliciouz

 

 

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"Wie wir die Nacht erleben" schreibt Geschichten, Eindrücke und Erfahrungen von Menschen mit diversen und intersektionalen Perspektiven aus dem Nachtleben. Das Nacht- bzw. Veranstaltungsleben kann sich dadurch auszeichnen, dass es ausgelassen, berauschend, verbindend, befreiend und vernetzend ist. Aber es kann auch ausschließend, diskriminierend und schmerzhaft sein. Mit diesen Erfahrungen gehen Menschen unterschiedlich um. Sie entwickeln (empowernde) Strategien oder müssen Konsequenzen für sich ziehen. Viele sind überzeugt, dass "so etwas" auf den eigenen Veranstaltungen nicht passiert. Doch diese vermeintlich individuellen Erfahrungen ziehen sich strukturell durch unsere Gesellschaft und sind auch im Veranstaltungskontext verankert.
Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten. Es sind vielschichtige Stimmen, die sichtbar und hörbar gemacht werden: Empowernd, wütend, über Gewalt und den einhergehenden Schmerz berichtend, sehnsüchtig, traurig, frei, laut und leise, hart und weich.
9 Autor*innen und/oder Künstler*innensind an dem Zine beteiligt. Wir haben sie gefragt, wie für sie eine gelungene Nacht aussieht, wann sie sich safe und stark fühlen. Aber auch, wie ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt oder Diskriminierung sind.
Sie sind Teil des sächsischen Nachtlebens - ob als Besuchende, Awareness, Security, Artists oder Organisator*innen. Am Tage und während der Nacht engagieren sich viele von ihnen gegen Diskriminierung. Manche von ihnen bleiben anonym, einige stellen sich unter ihren Beiträgen vor. Vielen Dank für eure Offenheit, euren Mut und eure Arbeit!
In Teilen werden in den Beiträgen kontroverse und komplexe Themen angesprochen. Dies geschieht sehr subjektiv und teilweise verkürzt, aber eben der erlebten Erfahrung entsprechend. Als Herausgeber*innen sehen wir es als unsere Aufgabe, diese Berichte unzensiert und ungefiltert  so stehen zu lassen, wie sie sind, und finden es wichtig, auch Kontroversen und Diskussionen Raum zu geben.
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Autor:in

Manwinder Dhanjal (kein Pronomen)

Lesezeit

4 min

Datum

November 18, 2022

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