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Wie wir die Nacht erleben: "Awareness unterm Sternenhimmel"

Menschen aus Sachsen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten.

Awareness unterm Sternenhimmel

von Fin (they/them, er)

CN: Tekk/ OpenAir, Alkohol, Drogenkonsum, (sexualisierte) Gewalt, Rechtsextremismus

Wenn ich frei wählen darf - was natürlich niemals der Fall sein kann - dann wähle ich immer eine Tekk.
Mensch kann Tekk mit zwei k schreiben, oder auch nur mit einem. Das macht einen Unterschied, denn je mehr k, desto schneller und härter ist die Musik. Ich entscheide mich für die Tekk, und diese findet unterm Sternenhimmel statt.

Zuvor sind wir durch einen dunklen Wald geradelt, und die Wurzeln haben den Boden unter unseren Rädern aufgewühlt. Das Wegbier hat hier eine andere Bedeutung, denn der Weg ist weit und unsicher sein Ziel. Womöglich haben wir bereits Glühwürmchen gesehen oder Wildschweine in der Ferne gehört, denn wir lauschen in den Nachtwald hinein. Wir lauschen auf die Bässe, die ihren Weg durch das Geäst finden, um den unseren zu weisen. Die Tekk lockt uns mit Koordinaten, nur selten mit einer Musikrichtung oder Namen der auflegenden Personen. Tekk Fame ist schwierig, aber möglich.

Tekks sind Spielwiesen.

Dekoriert ist jede Tekk mit ihrer Location, und keine ist wie die andere. Zu Scheinwerfern umfunktionierte Ampeln, Plastiktütenquallen die im Nachtwind schwimmen, Wimpelketten. Sonnenaufgangssekt am Rande der Sandgrube, die Maschinen recken sich mit einem Frieden der Sonntagssonne entgegen, der ihnen nur selten steht. Akrobatiksessions auf dem Floor, weil der Sand uns weich auffängt, Deeptalk im Moos mit Lagerfeuerbekanntschaften, Acidwanderungen zur Rotbuche. Wir bevölkern den Wald und machen uns Gedanken um die Tiere, neben dem Lärm der Förderbänder.

Wir verlassen die Lichtungen sauberer als wir sie vorgefunden haben. (meistens) Wir schleppen die Technik in die Täler, wo der Schall nicht zu den Anwohnenden dringt. Aber ich will nicht nur von den Waldtekks erzählen. Freetekks finden sich überall dort, wo ein Auto hin- und der Schall nicht wegkommt: Unter Autobahnbrücken, in Flutrinnen, in alten Fabrikhallen, in unterirdischen Kellern, die hoffentlich nicht einstürzen. Manchmal ist es eine kurze Radtour durch die Nacht, manchmal sind es Autofahrten über verlassene Landstraßen in ein fernes Nirgendwo. Dort gibt es nichts außer monströsen Fabriken, die wie eigene Lebewesen in der Stille rumoren und gegen die unsere Boxen keine Chance haben.

Ich wähle die Tekk nicht nur ihrer Vielgestalt wegen. Ich präferiere sie gegenüber den Clubnächten, weil sie ein Ort der Freiheit ist.

Freiheit ist ein großes Wort, und es erlebt eine Renaissance in der Feierphilosophie. Wir erreichen die Tekk und stellen fest: Wir treffen hier mehr POC als in einem durchschnittlichen dresdner Club. Wir treffen junge Menschen, denen der Zugang zur Partys aus Jugendschutzgründen verwehrt wird und  alteingesessene Tekno-Urgesteine, die zwischen hippen Studierenden keinen Platz finden. Wir treffen auf Menschen, die mit ihrem Style in keinen Club kommen, die ihn sich gar nicht leisten können und die nicht wöchentlich zum Club in die nächste Stadt gondeln können oder wollen. Auf uns wiederum trifft Musik, die wir in keinem Club so finden würden. Tekks sind Begegnungsräume, in denen die Begegnung in der gemeinsamen Euphorie besteht anstatt im unbedingten Willen, sich zu begegnen.

 

Verlassen wir für einen Moment die romantisierte Beschreibung. Denn natürlich romantisiere ich, wenn ich von Glühwürmchen und Sonnenaufgängen schreibe. Das tue ich, weil ich diese Nächte in einem Zustand romantikempfänglicher Berauschtheit erlebe. Aber ich tue es auch, weil sie eine Feierutopie darstellen, die ich mir nur widerwillig von der Realität zurecht rücken lasse. In dieser Realität exkludieren Tekks nicht mit einer Türpolitik sondern mit einer Informationspolitik: Nur wer von den Dates und Koordinaten Bescheid weiß, kann an ihrer Freiheit teilhaben. In dieser Realität weichen wir in die Natur aus, denn es gibt kaum Freiräume.

Und zu dieser Realität gehört die Gewalt, die sich auf einer Tekk abspielen kann. Sie ist ein seltener Gast, und nicht repräsentative Studien meines Alltags haben ergeben, dass sie sich seltener in die Wälder verirrt als in die Clubs. Und doch ist sie da, und sie gewinnt an Bedrohlichkeit, wenn ich ihr in einem dunklen Wald oder in einer verlassenen Halle über den Weg laufe, anstatt in einem Club, der – zumindest für weiße Menschen wie mich – eine*n Türsteher*in als Verbündete bietet. Die Idee der Tekk beinhaltet, dass sich die Ravenden nicht mit der Haltung von Konsument*innen auf den Weg machen, sondern füreinander und für die Tekk Verantwortung übernehmen. Denn es gibt weder Türstehende noch eine Tür, aus der eins jemenschen hinaus werfen könnte. Es gibt nicht - oder nur zu dem hohen Preis der Repression - die Option, staatliche Instanzen wie die Cops zu involvieren. Und auch der Rettungswagen kommt nicht mit clubtypischer Regelmäßigkeit vorbei, denn dazu müsste er zuerst die Location finden und dann über Waldwege heizen.

Wir sind hier aufeinander angewiesen, und genau das macht die Tekks so interessant für Awarenessarbeit: Die Ansätze sind bereits im Konzept enthalten.
Ich kenne Kollektive, die Awareness Teams auf ihren Tekks haben: Sie richten Rückzugsräume in verlassenen Fabriken ein und plenieren darüber, wer sich in welchem Grad der Verzustandung vorstellen kann, übergriffige Personen überzeugend loszuwerden. Zugleich kenne ich einige, die mit dem akademisierten Begriff der Awareness wenig anfangen können, und die nicht von Ansätzen oder Konzepten sprechen werden. Immer wieder stellt sich für die Kollektive, ob sie nun Tekks, Teks oder anderweitig unkommerzielle Partys veranstalten, die selbe Frage: Wenn es bei der Party um den Freiraum geht, wenn nicht zwischen Crew und Gast, zwischen Schicht und Party unterschieden wird – Wie macht mensch da Awareness Arbeit? Es gibt kein Geld für externe Teams, es gibt kaum Konzepte für Awareness im Wald – ohne Licht, ohne Security – und ab ein Uhr ist oft niemensch mehr nüchtern. Wir können niemenschen aus dem Wald werfen – die Personen, die wir erfolgreich gegangen haben, können mit mehr Personen wieder kommen, oder es sich einfach machen und den Cops die Location stecken. Zugleich bleibt es dabei: Selbstorganisation verlangt Selbstschutz - gegen Repressionen, gegen Faschos, gegen die eigenen sexistischen und anderweitig gewaltvollen Umtriebe.

Ich erinnere mich an X, der mit der Axt in der Hand in den Wald stürmte auf der Suche nach vermeintlichen Faschos. An Y, der ein Fascho war und auf einer Tekk auf zwei Menschen einstach. An meine Wut, die ich nach einem Übergriff an einem Baum ausließ, weil ich mich so machtlos fühlte. An den Moment, mit einer undefinierbaren Menschenmenge den betreffenden Typen zu verjagen. An das liebevolle Chaos, mit dem eine vermeintlich verschwundene Person gesucht wurde, welche die ganze Zeit wohlbehalten am Feuer saß.

Zum Schluss back zu romance: In der Schönheit der Tekk, in der Spontanität liegt zugleich ihre Gefahr – und ihr Potential, nicht nur ein kollateralawarer Raum zu sein, sondern mit Ansage aware, beinahe freie Räume zu schaffen. //

 

Steckbrief

Über mich: non-binary Raver*in, Awareness Person, Veranstalter*in, frisch geschlüpfte*r DJ*ane

Lieblingsartist*in: Billx

Eine gelungene Nacht ist für mich: Schnell und laut, vielleicht von Überraschungsbegegnungen gesprenkelt, aber auch gern verschwiegen und es kommt ein Sonnenuntergang und ein Sonnenaufgang drin vor.

Lieblingslocation in Sachsen: Dresdener Heide

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"Wie wir die Nacht erleben" schreibt Geschichten, Eindrücke und Erfahrungen von Menschen mit diversen und intersektionalen Perspektiven aus dem Nachtleben. Das Nacht- bzw. Veranstaltungsleben kann sich dadurch auszeichnen, dass es ausgelassen, berauschend, verbindend, befreiend und vernetzend ist. Aber es kann auch ausschließend, diskriminierend und schmerzhaft sein. Mit diesen Erfahrungen gehen Menschen unterschiedlich um. Sie entwickeln (empowernde) Strategien oder müssen Konsequenzen für sich ziehen. Viele sind überzeugt, dass "so etwas" auf den eigenen Veranstaltungen nicht passiert. Doch diese vermeintlich individuellen Erfahrungen ziehen sich strukturell durch unsere Gesellschaft und sind auch im Veranstaltungskontext verankert.
Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung erfahren müssen, teilen ihre Sicht auf das Nachtleben hier in literarischen Beiträgen und Erfahrungsberichten. Es sind vielschichtige Stimmen, die sichtbar und hörbar gemacht werden: Empowernd, wütend, über Gewalt und den einhergehenden Schmerz berichtend, sehnsüchtig, traurig, frei, laut und leise, hart und weich.
9 Autor*innen und/oder Künstler*innensind an dem Zine beteiligt. Wir haben sie gefragt, wie für sie eine gelungene Nacht aussieht, wann sie sich safe und stark fühlen. Aber auch, wie ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt oder Diskriminierung sind.
Sie sind Teil des sächsischen Nachtlebens - ob als Besuchende, Awareness, Security, Artists oder Organisator*innen. Am Tage und während der Nacht engagieren sich viele von ihnen gegen Diskriminierung. Manche von ihnen bleiben anonym, einige stellen sich unter ihren Beiträgen vor. Vielen Dank für eure Offenheit, euren Mut und eure Arbeit!
In Teilen werden in den Beiträgen kontroverse und komplexe Themen angesprochen. Dies geschieht sehr subjektiv und teilweise verkürzt, aber eben der erlebten Erfahrung entsprechend. Als Herausgeber*innen sehen wir es als unsere Aufgabe, diese Berichte unzensiert und ungefiltert  so stehen zu lassen, wie sie sind, und finden es wichtig, auch Kontroversen und Diskussionen Raum zu geben.
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Autor:in

Fin (they/them, er)

Lesezeit

4 min

Datum

October 28, 2022

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